Immer höher, schneller, weiter…

Als ich meine Ausbildung damals beendet hatte, vor gefühlten 30 Jahren… tatsächlich sind es aber erst 24 Jahre, da stand für mich fest, dass es das noch nicht gewesen sein kann, und so sattelte ich noch ein Studium oben drauf. Meine Eltern waren damals gar nicht begeistert, da sie meinten eine Frau braucht doch sowas nicht, da ich doch eh mal Kinder bekomme und dann zu Hause bleiben werde. Das war mir aber egal und ich zog es durch. Danach dachte ich immer, jetzt bist du am Ziel. In allen Stellenanzeigen stand damals: „Sie sind die geborene Führungskraft. Sie können Teams zusammenschweißen und Mehrarbeit spornt Sie so richtig an!“

Im zarten jungen Alter von 24 Jahren und einer Körpergröße von 1,65m (mit Hacken unter den Füßen) bejahte ich dies immer eifrig und ergatterte tatsächlich meine erste Führungsposition und wurde vor mein Team gestellt. Große Verblüffung auf beiden Seiten! Ich werde nie mein erstes Teammeeting vergessen. Die Unternehmenssprache war Englisch und ich sollte dies auf Englisch halten. Kein Problem. „Das Problem“ saß auf der anderen Seite. Meine Mitarbeiter konnten kein Englisch. Und so beschloss ich spontan, mein Meeting auf Deutsch zu halten, damit mich meine Mitarbeiter verstehen konnten. Und wieder zwei Seiten. Auf der einen Seite Erleichterung. Auf der anderen Seite die erste Abmahnung, da ich mich nicht an die Vorgabe aus Boston gehalten hatte. Mein damaliger Vorgesetzter machte mich klein mit Hut. Beschimpfte mich wild, um sich dann einzugestehen, dass man das davon hat, wenn man eine Frau als Führungskraft einstellt. Autsch. Das hatte gesessen. Ehrlich gesagt, kapitulierte ich nach 3 Monaten meiner ersten Führungsposition wieder. Was das mit meinem Selbstwert gemacht hat, muss ich wahrscheinlich nicht explizit erwähnen.

Auch bei der nächsten Führungsaufgabe war es nicht gerade ein Zuckerschlecken. Oft hatte ich „Magengrummeln“ wenn wieder irgendwelche Vorstandsmeetings bevorstanden. Oft als einziges „weibliches Wesen“ in der Runde. Meinen Kollegen ging ich geschätzt manchmal nur bis zum Bauchnabel. „Gstandne Mannsbilder“, wie man in Bayern so schön sagt. Auch ihr „Organ“ war meinem weitaus überlegen und so wurde ich oftmals übertönt.

Was für viele männlichen Kollegen selbstverständlich war und ist, geht für eine Frau gar nicht. Schon alleine abends an der Hotelbar mit den Kollegen „abzuhängen“ ist für eine Frau nicht unbedingt denkbar. Schnell hat man seinen Ruf weg. Auch die Annahme, man sei karrieregeil, bekommt man schnell an den Kopf geworfen. Spannender wurde es dann aber erst nach der Babypause. Da war man dann plötzlich die „karrieregeile Rabenmutter“. Auch schön. Zum selbsternannten schlechten Gewissen, da man wieder arbeitet, kommen dann die „unqualifizierten“ Ausrufe der Kollegen.

Das Ganze steigert sich dann, wenn man um 14 Uhr nach Hause geht, da man eben ein paar Stunden weniger arbeitet (offiziell), in der Zeit aber genauso viel schafft wie zu Vollzeitzeiten, eben nur in weniger Stunden - und die Kollegen einem hinterherrufen: „Wow, du hast es gut und hast jetzt schon frei!“ Ich glaube, jede Mama schreit an dieser Stelle auf! Mein stressigster Job heißt „Mama“. Sieben Tage, 24 Stunden, 365 Tage, Nachtschicht, Sorgen und Nöte. Ich glaube, das ist nicht gerechtfertigt, von „freier Zeit“ zu reden. Manchmal habe ich meinen Mann beneidet, der einfach nur in die Arbeit darf. Wenn er auf Geschäftsreise fährt, muss er nicht für die Betreuung sorgen, keinen Kühlschrank bestücken, die Kleiderschränke füllen oder Elternabende koordinieren. Er fährt einfach. Gehe ich hingegen auf Geschäftsreise, gibt es Excel-Listen wer, wann und wo bei den Kids ist. Und es erstaunt mich auch immer wieder, wie man ein Haus verwüsten kann bei nur zwei Tagen Abwesenheit. Aber ich möchte hier auch gar nicht jammern! Ich habe nämlich eines in Perfektion gelernt in dieser Zeit. Und das ist Zeitmanagement und Organisation. Und auch meine Kinder möchte ich niemals missen. Die Zeit und Kraft, die Kinder bedeuten, nehme ich gerne auf mich.

Wofür, werden sich jetzt aber doch einige denken? Neulich hat mich mein nun fast 17-jähriger Sohn das Gleiche gefragt: „Warum tust du dir das eigentlich an, Mama?“ Immer höher, schneller, weiter. Warum gibst du in deinem Alter nicht einfach mal Ruhe? Jetzt machst du wieder eine Weiterbildung und versuchst noch eine Sprache zu lernen. Und gehst du nach 17 Uhr immer noch ans Telefon? Das hat mich ehrlich gesagt sehr nachdenklich gemacht. Er möchte das später nämlich einmal nicht. Er möchte schon einen „Job“, bei dem er gefordert ist. Er möchte aber auch leben und nicht nur arbeiten. Er möchte Zeit mit seiner Familie verbringen. Er möchte auch, dass seine Frau genügend Zeit für ihren Job und sich hat. Und er möchte seine Kinder groß werden sehen.

Gut. Vielleicht waren mein Mann und ich all die letzten Jahre kein gutes Vorbild. Wir haben beide viel gearbeitet, da wir uns und den Kindern etwas bieten wollten. Wir wollten Unabhängigkeit schaffen. Ich wollte dem allgemeinen gesellschaftlichen Bild einer tollen Frau entsprechen, die Kinder, Familie und einen guten Job spielend schafft, dabei viel Sport treibt, sich gesund ernährt und ihren Kindern eine vorzügliche Ausbildung ermöglicht.

Immer höher, schneller, weiter… für meine Generation ganz normal. Doch wenn ich all diese jungen Menschen betrachte, dann wird sich da gewaltig etwas ändern und verschieben. All die „Millennials und Alphas“ die in den Startlöchern ins Berufsleben stehen, haben von unserer Generation andere Werte mitbekommen. Sie stehen ihren Mann/Frau von Kindesbeinen an. Sie halten ab der Grundschule Referate und Präsentationen. Haben gelernt sich selbst zu reflektieren und sich Themen und Wissen anzueignen. Kommen schon zweisprachig und globaldenkend auf die Welt. Mit immer höher, schneller, weiter werden wir hier wohl die nächsten Jahre nicht punkten können…

Umso schöner ist es auch zu sehen, dass viele Firmen das schon erkannt haben. Auch ich habe einen Arbeitgeber, der mich dabei unterstützt, mein Leben mit Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Der auch meine Nöte nachvollziehen kann. Der mir hilft, die Prioritäten zu verschieben, wenn es zu Hause mal nicht so läuft. Ich glaube zuhören, Verantwortung übertragen, Fehler machen lassen und als Mentor fungieren, das wird die Zukunft sein. Und soll ich was verraten? Ich freue mich drauf!

Deine Iris

Kolumne von Iris Nutz, Markendesign & Akademieleiterin Simmeth Training, Betriebs-und Kommunikationswirtin, Gastro-Coach, Erlebnispädagogin


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