Was Chefs und Mitarbeiter erwarten

Was Chefs und Mitarbeiter erwarten

Das Tagesgeschäft in der Gastronomie war früher meist recht hierarchisch und streng organisiert – vor allem in den Küchen. Mittlerweile gibt es auch neue Ansätze und Modelle. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Marco Akuzun: Bei uns im Top Air geht es während der Vorbereitung und Produktion recht locker zu. Sobald aber der Service anfängt, sind Ruhe und Konzentration angesagt. Jeder weiß, was er zu tun hat, jeder hat seine Funktion. Mit Hierarchie als Selbstzweck hat das nichts zu tun. Es geht um den Gast und dessen Erwartungen. Wenn es Wichtiges zu besprechen gibt, machen wir das nach dem Service. Diskussionen während der Arbeit gibt es bei mir nicht.

Philip Reise: Als Chef fühle ich mich verantwortlich für alles, was im Restaurant am Golfplatz passiert. Das gilt natürlich auch für die Teams in Küche und Service. Ich zeige permanent Flagge, bin oft auch als Springer unterwegs. Auch bei uns hat jeder seine Aufgabe und seinen Kompetenz- und Verantwortungsbereich, aber speziell in der Küche wechseln wir öfter mal. Das bringt Abwechslung und Spaß ins Tagesgeschäft und ins Team. Trotzdem habe ich natürlich das letzte Wort – mit dem nötigen Respekt. Anders geht es nicht.

Wer gehört eigentlich zum Team?

Mirjam Felisoni: Wir haben im Öschberghof insgesamt rund 180 Mitarbeiter – und mehrere Teams für unsere vier Restaurants, jeweils mit Küchenchef und Restaurantleiter, teils auch übergreifend, wenn es um bestimmte Kompetenzbereiche geht. Zu den Teams gehören alle, die bei uns beschäftigt sind, die Stammbelegschaft, die Azubis und die Aushilfen. Speziell ohne unsere 75 Auszubildenden würde es bei uns im Haus nicht gehen.

Wie konstant sind die einzelnen Mannschaften?

Mirjam Felisoni: Es kommt drauf an. Im Fine-Dining-Restaurant Ösch Noir haben wir ein sehr konstantes, fixes Team. Das ist eine Mannschaft, die permanent miteinander arbeitet und voll aufeinander eingespielt ist. Meine Feststellung ist, dass etwaige Probleme in solch einem überschaubaren Team viel schneller gelöst werden müssen, als in einer größeren Mannschaft mit verschiedenen Schichten – dort geht es dann eher um Fragen der Struktur, der Organisation oder der konkreten Aufgaben.

James Ardinast, Ihre Frankfurter Gastrogruppe, die Ima Clique, hat ein entspanntes, lockeres Image. Gilt das auch fürs Arbeiten?

James Ardinast: Wir versuchen tatsächlich, ein lockeres Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich die Leute wohlfühlen – Feste, Azubis und Aushilfen. Zusammengehörigkeit ist bei uns ein zentraler Begriff, und jeder darf sich mit Ideen einbringen. Wir wollen nicht, dass unsere Mitarbeiter Angst haben – und wir wollen schon gar nicht, dass sie Angst haben, Fehler zu machen. Wir möchten neue Wege gehen, da gehören Fehler einfach dazu. Aber es ist natürlich schon so, dass wir in unserem Fine-Dining-Restaurant Stanley Diamond eine etwas andere Gangart haben, als im Bar Shuka mit neuer Tel-Aviv-Küche.

Alexander Scharf, wie ist das bei Ihnen und der Gastro Urban GmbH?

Alexander Scharf: Wir arbeiten mit einer sehr flachen Hierarchie. Im Prinzip gibt es mich als geschäftsführenden Gesellschafter und dazu einen Juniorpartner mit Betreibergesellschaft. Und dann haben wir noch drei Betriebsleiter und die Festangestellten. Mir liegt der Draht zu meinen Leuten am Herzen. Ich versuche wirklich jeden Tag mit jedem kurz zu sprechen, packe mit an, wenn es brennt. Mein Anspruch sind ein Arbeiten ohne Druck, familiäre Atmosphäre und Nähe. Jeden Morgen gibt es ein gruppenübergreifendes Meeting, an dem prinzipiell jeder teilnehmen kann.

Gibt es Punkte, die Sie am heutigen Arbeitsleben oder auch an den Mitarbeitern stören?

Marco Akuzun: Ich habe in der jüngeren Vergangenheit meine Mannschaft komplett ausgetauscht – die Stimmung, der Umgangston und der Teamgeist waren einfach nicht so, wie ich mir das vorstelle. Mein Eindruck ist, dass Mitarbeiter heute extrem anspruchsvoll sind, was die Arbeitsbedingungen betrifft. Wir haben sieben Wochen bezahlten Urlaub, geregelt frei, Stempeluhr, kaum Überstunden, gute Gehälter – und die Ansprüche gehen immer noch weiter, manches kommt mir fast surreal vor. Wo soll das alles hinführen? Ich will gut kochen und wünsche mir, dass das Team motiviert mitzieht. Das klappt jetzt. Zu den früheren Mitarbeitern habe ich übrigens trotzdem noch einen guten Draht.

James Ardinast: Eine harte Maßnahme. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein einzelner, dominierender Mitarbeiter das gesamte Team negativ prägen kann. Manchmal reicht es, hier die Reißleine zu ziehen – dann läuft es wieder rund. Insgesamt stelle ich fest, dass die Mitarbeiter im Gastgewerbe zunehmend selbstbewusst sind, keine Angst mehr um ihren Job haben. Das ist gut, fordert uns Unternehmer aber heraus.

Eigenverantwortung ist ein zentrales Schlagwort, wenn es um moderne Führung geht...

James Ardinast: Wie gesagt, ich finde es gut, wenn unsere Leute sich damit befassen, wie die Dinge laufen und was man anders machen könnte. Das hat mit eigenverantwortlichem Denken und Handeln zu tun, das wir auf jeden Fall fördern. Insgesamt gilt für uns: Es geht nicht darum, den Mitarbeitern bestimmte Handlungen beizubringen oder vorzuschreiben – etwa das Duzen oder Siezen von Gästen – sondern ihnen den Spirit zu vermitteln. Das Tagesgeschäft in Küche und Restaurant muss aber natürlich trotzdem nach Plan funktionieren, hier kann es keine spontanen Alleingänge geben. Den Führungsleuten in den Restaurants kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Wie wichtig ist es, eine Arbeitgebermarke zu bilden?

James Ardinast: Fest steht, dass die Konkurrenz am Gastronomiemarkt immer größer wird, fast jedes Konzept gibt es mehrfach. Das beeinflusst auch das Thema Mitarbeiter. Entscheidend ist aus meiner Sicht der Community-Gedanke, vor allem aber geht es auch darum, darzustellen, was man tut und warum man es tut. Das sollte man nach außen und nach innen gleichermaßen tun. Die Leute brauchen etwas, woran sie sich festhalten können. Leidenschaft und Nachhaltigkeit sind bei uns zentrale Begriffe. Wir haben ein Paper mit unserer Unternehmensphilosophie, das jeder Mitarbeiter bekommt. Außerdem gibt es noch ein Handbuch mit konkreten Arbeitsschritten...

Götz Braake: Werte als Grundgerüst spielen in gastgewerblichen Unternehmen eine immens wichtige Rolle, nicht nur wenn es um Führungskultur geht. Das daraus resultierende Leitbild tangiert Gäste, Mitarbeiter und Betreiber gleichermaßen. Grundsätzlich denke ich, dass Klarheit zum harmonischen Miteinander führt. Konflikte entstehen vor allem in der Grauzone, dort wo es ungeklärte Punkte gibt.

Alexander Scharf, wie machen Sie das in Goslar?

Alexander Scharf: Wir setzen ebenfalls auf ein Leitbild samt Marke und haben eine entsprechende Unternehmenskultur festgelegt. Darin definieren wir, wer wir sind, was wir wollen und wie wir miteinander umgehen. Das betrifft die Küchenhilfe ebenso wie den Betriebsleiter. Zusammen mit den Mitarbeitern haben wir zwei Dokumente entwickelt: Unser Playbook mit der Philosophie und ein Arbeitshandbuch, das den Korridor für das Tagesgeschäft vorgibt. Wir sprechen auch offen über Gehälter...

Mirjam Felisoni: Wir sind dabei, unsere Handbücher zu überarbeiten. Allerdings geben wir unseren Abteilungsleitern viel freie Hand in den verschiedenen Restaurants. Regelmäßige Meetings sind ganz wichtig, von den großen Zusammenkünften mit sämtlichen Abteilungsleitern sind wir aber etwas abgekommen. Das genügt alle zwei Monate.

Wie steht es um den Umgang mit Problemen – und was tun, wenn es mal knallt?

Mirjam Felisoni: Das Spektrum möglicher Probleme ist groß – wir arbeiten ja mit Menschen und für Menschen. Es reicht von Konflikten im Team und Konflikten mit anderen Teams bis hin zu Missverständnissen mit dem Gast. Eine schnelle Klärung ist in jedem Fall wichtig, sonst stauen sich die Dinge auf. Manchmal muss man sich auch von einem Kollegen trennen. Das kommt leider auch vor.

Inwiefern sind Küchen- und Restaurantteams anfälliger für Stress und mehr unter Druck, als Hotelteams?

Marco Akuzun: Im Gourmetbereich gibt es definitiv großen Druck – die Ansprüche der Gäste sind, wie eingangs gesagt, extrem hoch. Andererseits braucht man in diesem Bereich ein Top-Team, das sich keine Patzer erlauben darf. Und dann gibt es natürlich noch den finanziellen Aspekt, die Kennziffern.

Anders gesagt, die Gastronomie kalkuliert immer noch zu billig?

James Ardinast: Ich würde es so formulieren: Gästen fehlt oft das Verständnis dafür, was Essen und der Restaurantbesuch kosten dürfen. Wir haben deshalb in Frankfurt die Initiative Gastronomie ins Leben gerufen. Dort treffen wir uns regelmäßig, auch das Thema Preispolitik kommt zur Sprache. Mittlerweile sind wir auf einem guten Weg. Ich denke, das Bewusstsein für Ernährung und Lebensmittel ändert sich. Trotzdem: Druck in der Gastronomie ist ein Thema, das hängt auch mit dem unmittelbaren Feedback zusammen, etwa der Kritik an Preisen. Ich mache dann schon mal die Rechnung öffentlich und zeige, warum wir so kalkulieren müssen.

Der Gast als Kritiker, das ist eine Medaille mit zwei Seiten…

Alexander Scharf: Die Resonanz kommt heute viel spontaner, rabiater. Natürlich nicht nur im Laden, sondern auch online, auf Social-Media-Kanälen und Bewertungsplattformen. Es ist unsere Aufgabe, den Mitarbeitern hier den Rücken zu stärken – und dem Gast im Zweifelsfall die Tür zu zeigen. Das haben wir schon gemacht – etwa, als ein marokkanischer Mitarbeiter von einem Gast massiv beleidigt wurde.

Mirjam Felisoni: Ähnliches musste ich kürzlich auch erleben. Ein Stammgast war wiederholt extrem unverschämt im Auftreten, gegenüber Mitarbeitern und dann auch mir gegenüber. Wir haben dann rigoros gehandelt – in Abstimmung mit unserem Geschäftsführer. Es ging nicht anders.

Loyale, verständnisvolle Chefs – so lässt sich gut arbeiten. Worauf legen Ihre Mitarbeiter denn sonst noch Wert?

Philip Reise: Arbeitszeiten und Freizeit sind immer wieder ein Thema, das Klima im Betrieb sollte stimmen – was maßgeblich am Chef liegt. Empathie, Teamgeist, solche Dinge gehören dazu. Geld ist nicht das Hauptthema.

Mirjam Felisoni: Die Mitarbeiter wollen verstehen, worum es geht. Sie wollen mit einbezogen werden. Letztlich geht es um den Sinn. Ich finde das positiv.

James Ardinast:Dito. Feedback gehört auch dazu – mit dem nötigen Respekt versteht sich. Wie gesagt, wir wollen kein Management von oben herab betreiben. Der Input unserer Leute ist uns wichtig. Das spüren unsere Mitarbeiter.

Alexander Scharf: Die Einbeziehung der Mitarbeiter – das ist ein entscheidender Punkt, denn das trifft auch die Bedürfnisse. Zum Thema Geld: Ich glaube, dass faire Bezahlung ein wichtiger Punkt ist, hinzu kommen Sinn, Wertschätzung und Work-Life-Balance. Wer dann noch Weiterbildung anbietet, macht vieles richtig. Letztlich glaube ich, dass diese Einstellung auch beim Gast ankommt – er spürt, wie es den Leuten im Service geht.

Die Diskussionsteilnehmer: 

Christoph Aichele, Redakteur, ahgz (Moderation)

Marco Akuzun, Restaurant Top Air, Stuttgart (10 bis 12 Mitarbeiter)

James Ardinast, Ima Clique, Frankfurt (120 Mitarbeiter)

Götz Braake, Berater & Coach, FCSI

Mirjam Felisoni, Der Öschberghof, Donaueschingen (180 Mitarbeiter)

Brit Glocke, Redakteurin, ahgz (Moderation)

Bettina von Massenbach, Beraterin & Coach, FCSI (Moderation)

Philip Reise, Restaurant am Golfplatz, Kirchheim/Teck (21 Mitarbeiter)

Alexander Scharf, Gastro Urban, Goslar (100 Mitarbeiter)