VSR-Präsidentin Andrea Nadles: "Und plötzlich ist alles anders ..."

VSR-Präsidentin Andrea Nadles: "Und plötzlich ist alles anders ..."

Mitte März 2020: Aufgrund der Corona-Epidemie bleiben die Schulen bis auf Weiteres geschlossen. Fast zeitgleich mit Fernsehen, Radio und Online-News erreichte mich diese Nachricht per E-Mail von der Berufsschule, an der ich unterrichte. Schulausfall wegen Schneemassen, Hochwasser und Sturm – all das hat man vielleicht schon mal erlebt und meistens war der Fall nach wenigen Tagen erledigt. Dann aber zu hören, dass mindestens bis zu den Osterferien kein Unterricht mehr stattfinden soll – das war schon eine ganz andere Aussage.

Nach dem sich die Nachricht bei mir gesetzt hatte, rückte rasch der Jahresplan in den Fokus: Schulaufgaben und Termine standen schon fest, der Unterrichtsstoff war noch lange nicht vermittelt und die schriftlichen Abschlussprüfungen schon in greifbarer Nähe. Jetzt musste er schnell her, der vielzitierte Plan B.

Mit WhatsApp schnell kommunizieren

Mir war sehr schnell klar: Wenn Du jetzt Deine Schüler erreichen und mit Unterrichtsstoff versorgen willst, dann musst Du sie auf digitalem Weg erreichen. Also schrieb ich erstmal eine Mail an die Klassensprecherin. Diese teilte mir mit, dass alle Schüler der Klasse per WhatsApp in Kontakt seien und fragte mich, ob sie mich zur Gruppe hinzufügen dürfte. Da dieser Messenger-Dienst im Prinzip nur für die private Kommunikation konzipiert ist, entschloss ich mich, sofort „privat“ mit meinen Schülern in Kontakt zu treten – und wurde Mitglied der Gruppe. Im Nachhinein betrachtet war das für mich eine richtige und wichtige Entscheidung, da ich so auf sehr kurzem und schnellem Weg alle Schüler erreichen konnte. Meine Erfahrung war und ist, dass Rückmeldungen über WhatsApp im Regelfall zeitnah und verlässlich erfolgen.

An unserer Schule gibt es bereits seit längerer Zeit eine Online-Lernplattform. Am ersten Schultag bekommen die Schüler einen personalisierten Zugang, die Lehrer können Unterlagen und Dokumente aller Art bereitstellen. Arbeitsaufträge können bearbeitet und Fristen zur Abgabe eingepflegt werden – und vieles mehr. Was mit diesem Tool alles möglich ist, habe ich aber tatsächlich erst ab März festgestellt und in den darauffolgenden Monaten mehr und mehr umsetzen können.

Zwar digital, aber immerhin live

Das „Hochladen“ von Aufgaben unter Bekanntgabe einer Frist war mir persönlich allerdings zu wenig im Austausch mit den Schülern. Ich beschloss, mit meiner Klasse Unterricht per Videokonferenz zu machen. Der erste Test erfolgte während der Osterferien, zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass die Schulschließung noch weiter andauern wird. Was war das für ein wunderbares Erlebnis, die Schüler vor sich sitzen zu sehen – zwar nur digital, aber immerhin live und in Farbe. Auch die Schüler reagierten sehr emotional und freuten sich sehr, sich endlich wieder zu sehen, wenn auch auf dem Bildschirm. Der Austausch untereinander war groß, die jeweiligen Lebenssituationen im Kontext der Coronakrise wurden ausgiebig erläutert – und allen Beteiligten war klar, das wir weitere, regelmäßige Videokonferenzen veranstalten wollen.

So haben wir das auch gemacht, jede Woche, zur eigentlichen Unterrichtszeit laut Stundenplan. Es waren auch immer fast alle da, leider aber nur selten alle. Warum? Es waren nicht fehlende Endgeräte, es waren entsprechende Dienstpläne im Betrieb und hie und da eine schlechte Internetverbindung, die den Schülern die Teilnahme nicht möglich machte.

Verkürzter Stundenplan, geteilte Klassen

In den Klassen, in denen ich den digitalen Unterricht mit Videokonferenzen ergänzen konnte, wurden alle Lerninhalte entsprechend vermittelt. Bei den anderen Klassen bedarf es nun etwas mehr an Eigeninitiative seitens der Lernenden, um den versäumten Stoff aufzuholen. Die Möglichkeit, offene Fragen zu sofort zu beantworten und Missverständnisse auszuräumen, gibt eine alleinige Bereitstellung der Unterlagen einfach nicht her.

Ab dem 15. Juni fand an unserer Schule wieder für alle Jahrgangsstufen der Präsenzunterricht statt, mit verkürztem Stundenplan, geteilten Klassen und einem strengen Hygienekonzept. Die Abschlussprüfungen konnten an der Schule realisiert werden – und dieses sehr spezielles Schuljahr fand dann Ende Juli seinen Abschluss.

Rückblickend auf diese besondere Zeit ergibt sich für mich folgendes Fazit: Digitalisierung und Online-Schooling können den Präsenzunterricht nicht ersetzen, sind aber eine mögliche und gute Ergänzung. Auch im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt finde ich es wichtig, bereits während der Ausbildung die Nutzung dieser Medien in den Unterrichtsalltag zu integrieren. Das Benutzen digitaler Arbeitsportale, die elektronische Zusammenarbeit bei Gruppenaufträgen, die Einhaltung von Deadlines elektronischer Kalender, sowie die schriftliche Kommunikation unter Einhaltung der Netiquette mit Lehrkräften und Schülern sollten nicht nur im Unterricht thematisch, sondern in der täglichen Schulpraxis gelebt werden.

Lernplattformen haben Zukunft

Es bedarf hier aber einer schnellen, stetigen und umfassenden Schulung aller Lehrkräfte im Bereich der Digitalisierung. Lernplattformen können eine wirkliche Bereicherung und Entlastung in der Organisation des Schulalltags und der Zusammenarbeit mit den Schülern sein. Wünschenswert und sogar unbedingt notwendig wäre es aus meiner Sicht außerdem, dass alle Betriebe beziehungsweise die jeweiligen Ausbilder ihren Auszubildenden die Möglichkeit der Nutzung von betriebseigenen Endgeräten für schulische Zwecke ermöglichen.

Mein persönlicher Ausblick auf das neue Schuljahr? Am Anfang steht für den Praktiker das Mise en Place. Ich werde die Online-Lernplattform in mein Unterrichtskonzept integrieren und die Kontaktdaten der Schüler und Ausbilder komplett digital einpflegen. Das erspart im Ernstfall das lästige Abtippen der „analogen“ Listen. Und vielleicht lädt mich die neue Klasse gleich am Anfang in die Gruppe ihres Messenger-Dienstes ein. Nicht nur für den Fall einer zweiten Corona-Welle eine gute Option...