Fast Casual ist seine Passion

Fast Casual ist seine Passion

Die Tür zum Brauhaus Johann Schäfer in der Kölner Südstadt steht weit offen. Von drinnen weht Musik hinaus auf die Elsassstraße. Doch das Lokal ist leer, bis auf Till Riekenbrauk. Es ist der Tag, an dem die Stadt Köln den Wirten eine Direktive gibt: Nachdem die Coronakrise immer mehr um sich greift, müssen sie ihre Betriebe schließen.

„Die einzig richtige Maßnahme“, sagt Riekenbrauk. „Darauf haben wir nur gewartet. Bars und Clubs waren ja schon seit Tagen dicht. Für Restaurants galt bis gestern die Verordnung, um 18 Uhr zu schließen. Das hätte eine Bankrotterklärung bedeutet. Welchen Umsatz will man denn tagsüber schon machen, zumal in einem Brauhaus? Das ist nicht umsetzbar.“ Durch ihr am Ende zügiges Handeln habe die Stadt den Gastronomen die schwere Entscheidung abgenommen, von sich aus den Betrieb einzustellen – mit dem Risiko, ohne Versicherungsschutz dazustehen. „Mit dieser Maßnahme sind wir rechtlich in eine Situation gekommen, in der man wenigstens Ansprüche stellen kann“, so Riekenbrauk.

Coronakrise verhagelt Festival-Geschäft

Wir lassen uns an einem der urigen Tische nieder. Während des Gesprächs steckt gelegentlich ein Nachbar den Kopf durch die Tür und hat ein paar aufmunternde Worte parat. Man kennt sich in diesem beliebten Kölner „Veedel“, das mit szenigen Restaurants und Kneipen geradezu gepflastert ist. Till Riekenbrauk wirkt einigermaßen gelassen. Dabei ist das verwaiste Brauhaus nicht einmal sein größtes Problem. Mit seinem Geschäftspartner Vincent Schmidt betreibt er das weit über Köln hinaus bekannte „Street Food Festival“ und zudem eine Firma für Events und Catering. „In dieser Branche sieht es wirklich trostlos aus“, sagt er. „Nach der Winterpause wäre es im März wieder mit den Festivals losgegangen. Die Saison war vorbereitet, in zweieinhalb Monaten hätten wir 20 Veranstaltungen organisiert.“ In dieser heißesten Phase des Jahres erwirtschaften sie in der Regel bis zu 70 Prozent des Umsatzes. Riekenbrauk: „Den Rest machen wir über Messen und Caterings – und die waren bereits vorher tot.“

In der Corona-Anfangszeit sei es auf dem Event-Sektor sehr kompliziert gewesen, mit den veränderten Bedingungen umzugehen. „Wir hatten eine Menge Verträge, aber die Verfügungen wechselten von Tag zu Tag. Erst hieß es, keine Party mit mehr als 1000 Leuten, dann ging die Zahl immer weiter nach unten. Kein Amt wollte uns eine Veranstaltung von offizieller Seite aus verbieten, drängte uns aber wegen der Auflagen dazu, selbst abzusagen. Das war noch unfairer.“

Nachdem ihm nun die Hände weitgehend gebunden sind, versucht Riekenbrauk, einen kühlen Kopf zu behalten und durch eine Krise zu kommen, von der keiner weiß, wie lange sie anhalten wird. Eine ungewohnte Situation für einen vom Erfolg verwöhnten Macher. Ein Magazin adelte ihn mit dem Titel „Mark Zuckerberg der Kölner Gastro-Szene“ und pries seine schlauen, visionären Ideen. Tatsächlich hatte Riekenbrauk nicht nur einmal den richtigen Riecher für den Trend der Stunde. Und zur Erkenntnis auch den Mut, neue Wege zu gehen, etwas zu wagen. Die fettesten Schlagzeilen erzielte er 2014 mit der Gründung der Street Food Festivals, das dickste Lob 2015 mit dem Pop-up-Konzept „Laden ein“ in seiner Heimatstadt Köln und kurzzeitig auch in Düsseldorf.

Wie erinnert sich Till Riekenbrauk an seine ersten Berührungen mit der Gastronomie? Das weiß er noch ganz genau. Schon als Teenager sei er ein Fan von „fast casual dining“ gewesen, berichtet er. Auch wenn es den Begriff damals noch gar nicht gab. „Was ich unbewusst damit meinte, erhellte sich, als ich 2003 mit 16 Jahren ein halbes Jahr in den USA und Kanada war. Da konnte ich von einem Homemade-Burger-Laden zum nächsten stromern. Der Wahnsinn! Ich hatte doch keine Ahnung, dass es Burger auch in gut gab, wir kannten in Deutschland nur McDonald’s und Burger King.“

Zurück in Köln, fing der Abiturient an, beim Personaldienstleister Mise en Place zu jobben. Das setzte sich während des Zivildienstes und später auch beim Studium fort. Der junge Till muss sich super angestellt haben, denn er landete bald auf der höchsten Stufe, die er im Nebenjob erklimmen konnte. „Man vertraute mir eigene Projekte an, die ich leiten durfte“, sagt er. „Es war eine sehr gute Schule, Gastronomie auf diesem Niveau kennenzulernen und selber zu veranstalten.“

Wendepunkte und die zündende Idee

Was faszinierte ihn mehr, das gepflegte Essen oder die Kommunikation mit dem Gast? „Es war wohl eine Mischung aus beidem“, so Riekenbrauk. „Ich kam mit ganz ungewohnten Sphären in Berührung, ging in Luxushotels wie Schloss Bensberg ein und aus. Kulinarisch war für mich als Student diese sehr gehobene Küche nicht so meine Welt, aber ich lernte sehr viel über Planung, Organisation und Durchführung von Events, und auch über den Umgang mit Mitarbeitern.“

Man warb ihn ab von Mise en Place. Hinfort machte Till Riekenbrauk als Selbstständiger mit unterschiedlichen Projekten in der Kölner Szene von sich reden. „Die Reise ging für mich immer weiter – weg vom Catering und tiefer hinein in die stationäre Gastronomie“, erzählt er. „Mit der Zeit hat sich das Verhältnis von Nebenjob und Studium umgekehrt. Ich war seltener im Hörsaal, öfter in den Restaurants, um die ich mich kümmerte. Dazu veranstaltete ich Events wie Partys oder Public Viewing.“ Seinen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hat er aber dann doch noch gemacht. Das war 2014, in einem Jahr voller Wendepunkte. „Mein Sohn wurde geboren, was mich dazu brachte, meine Lebensgestaltung neu zu überdenken“, so Riekenbrauk. Als Student konnte er recht gut von seinen Jobs leben, doch ob er so auch eine Familie ernähren konnte? „Da galten plötzlich ganz andere Ansprüche.“

In dieser Phase der Neuorientierung reiste Riekenbrauk eine Weile durch Asien. „Dort entdeckte ich die Streetfood-Kultur, die zu meinem Inspirationsmoment wurde“, erzählt er. „Ausgereift war da noch gar nichts, doch nach meiner Rückkehr überredete ich zwei Freunde, mit mir ein Streetfood-Festival zu veranstalten.“ Dass zwischen Idee und Umsetzung nur sechs Wochen lagen, kommt ihm heute verrückt vor. „Es gab ja keine entsprechende Szene in Deutschland, allenfalls rudimentäre Züge. Von Foodtrucks noch keine Spur. Wir haben das alles aus dem Boden gestampft, das war Kalt-Akquise der härtesten Sorte.“ Mit zunächst magerem Ergebnis: Es hagelte Absagen! „Von 100 angefragten Restaurants bekamen wir schließlich mit Ach und Krach 20 zusammen, die mitmachen wollten“, so Riekenbrauk.

Und woran keiner glaubte, nicht einmal die drei Freunde in ihren kühnsten Träumen: Die Festival-Premiere wurde ein Riesenerfolg. „Wir hatten das Freiluftgelände Odonien in einem Kölner Gewerbegebiet angemietet, direkt neben einem großen Bordell“, erzählt Till Riekenbrauk und schmunzelt bei der Erinnerung daran: „Die Leute standen in einer Schlange von mehreren hundert Metern. Da kam der Bordellbesitzer angelaufen und beschwerte sich, seine Kunden würden den Eingang nicht mehr finden.“

So prima es auch lief von Anbeginn, in der Retrospektive gibt der Gastronom freimütig zu: „Das Niveau unserer ersten Veranstaltung war okay, aber nicht nach heutigen Maßstäben. Da hat sich vieles verbessert.“ Sie hätten dann sofort mit der Planung der zweiten Auflage angefangen, „denn schnell dämmerte uns, dass wir da an etwas richtig Großem dran waren“.

Im gastronomischen Goldrausch

Aus drei Festivals 2014 wurden 35 im Jahr 2015. Riekenbrauk spricht von einem Goldrausch, man habe alles verkaufen können, was produziert wurde. Geblendet hat ihn das aber nicht, im Gegenteil: „Als Gast hattest du keine tolle Zeit auf dem Gelände“, räumt er ein. „Man zahlte Eintritt, musste lange anstehen und manches in Kauf nehmen, worüber man zu Recht hätte meckern können.“ Seine Konsequenz: „2017 schafften wir den Eintritt wieder ab, fuhren alles zurück und besannen uns auf unsere Wurzeln. Mittlerweile ist das Street Food Festival wieder eine richtig schöne Sache geworden.“

Den Begriff, den er erfunden hatte, konnte er seinerzeit nicht patentieren lassen. „Ich hatte es versucht, doch es wurde uns verwehrt.“ Schnee von gestern, geschadet hat es ihm nicht. Denn auch ohne Markenschutz ist das Street Food Festival zu einer eigenen Gattung geworden. Fünf bis sechs veranstaltet er jeden Sommer, immer noch mit seinem Partner Vincent Schmidt und nach wie vor auf dem Odonien-Gelände. In anderen Städten sind es ein oder zwei Festivals, insgesamt kommt er auf 30 pro Saison.

Der Streetfood-Erfolg brachte Riekenbrauk abermals zum Nachdenken und weckte erneut seinen Instinkt. Er zögerte nicht, die gesammelten Erfahrungen umzumünzen und mitten im Goldrausch-Jahr mit der Gründung von Laden ein den nächsten Meilenstein zu setzen. „Durch die Festivals wurde mir klar, dass wir vielen Leuten erstmals die Chance gegeben hatten, ihr Essen anzubieten. Dazu brauchtest du vorher ein Restaurant. Jetzt konntest du plötzlich sagen, ich probiere das mal aus, ich teste mein Produkt und auch die Branche.“

Das Konzept Laden ein sah vor, jungen Köchen oder Quereinsteigern in einem angemieteten Restaurant für jeweils zwei Wochen zu einer Plattform zu verhelfen – mit einer voll eingerichteten Küche und ohne allzu großes Risiko. „Es gab keine Vorschriften, nur ein gewisses Gerüst für die Karte. Sie sollte klein gehalten werden, damit die Gerichte auch von Gastgebern ohne große Erfahrung möglichst perfekt zubereitet werden konnten.“

„Einzelne Produkte können sich für ein Restaurant-Konzept als zu schwach und nicht tragfähig erweisen“, erläutert Riekenbrauk. „Außerdem ist der Einstieg in die Gastronomie ein weitreichender und absoluter Schritt, den man nicht testen kann. Wir haben dafür gesorgt, dass ein Gastgeber sich unter realen Bedingungen ausprobieren konnte.“ Geboten wurde „alles querbeet – auf ein fleischlastiges Barbecue konnte komplett veganes Sushi folgen“, so Riekenbrauk.

Auch diese Gründung wurde zum Erfolgsmodell. Laden ein lief und lief, doch seit Februar heißt es „Laden aus“, für immer. Beim 100. Konzept wurde nach viereinhalb Jahren mit einer Best-of-Runde der Schlussstrich gezogen. „Es war schlicht ausgereizt“, konstatiert Riekenbrauk. Seine Bilanz: „Etwa 15 von 100 Gastgebern machten sich selbstständig, für die war es ein perfektes Sprungbrett. Sicher wären es noch mehr gewesen, wenn es leichter wäre, ein geeignetes Lokal zu finden. Der eine oder andere wollte aber auch einfach nur mal ohne Druck Neues ausprobieren.“ Auf jeden Fall hätte sich Laden ein als aussagekräftige Hilfe in beide Richtungen erwiesen, „weil wir auch denen eine Orientierung gaben, die sich danach entschieden haben, diesen Weg nicht weiter zu verfolgen“, so Riekenbrauk. „Gut so, sie hätten sonst später unter finanziellen Opfern aufgegeben oder wären zumindest unzufrieden mit ihrer Wahl gewesen.“

Von der Spedition zum Brauhaus

Während bei Laden ein noch unter Volldampf gekocht wurde, hatte Till Riekenbrauk schon längst angefangen, ein neues Feld zu beackern. Mit dem Brauhaus Johann Schäfer, einer ehemaligen Spedition, die er in neun Monaten umbaute, setzte er Ende 2017 seine Vision eines modernen Brauhauses um. Der Vermieter und Riekenbrauk waren sich einig: Etwas mit Bier sollte es sein. Zudem sei es gelungen, einen vermeintlichen Nachteil zum Vorteil zu machen: „Wir liegen mitten im Südstadt-Veedel, da kommen keine Touristenscharen vorbei wie anderswo“, so Riekenbrauk. „Auch konnten wir an keine Brauhaus-Tradition anknüpfen, was in Köln häufig der Fall ist. In den etablierten Gaststätten weiß jeder, was auf der Karte steht. Uns kannte man nicht, aber darin lag auch eine Chance. Wir wollten das Thema ganz neu aufrollen und setzten bei den Gerichten fast komplett auf Regionalität. Die Rekrutierung unserer Händler ist ein fortlaufender Prozess.“

Hauptgerichte und Beilagen können nach dem Baukasten-Prinzip kombiniert werden. Die Besonderheit im Johann Schäfer: Es werden so weit wie möglich ganze Tiere gekauft und verarbeitet. Diese Speisen sind auf einer gesonderten „Kopf-bis-Fuß-Tafel“ aufgelistet. „Das kommt gut bei unseren Gästen an“, sagt Riekenbrauk. Als Spezialitäten aus der hauseigenen Brauerei gibt es Südstadt Pils, Südstadt Hell und Chlodwig Weizen. „Am großartigsten ist es, wenn man sieht, dass die eigenen Planungen und Vorstellungen angenommen und gemocht werden“, sagt Riekenbrauk über seine Faszination für die Gastronomie. „Es gibt nichts Schöneres als glückliche Gäste.“

Fast müßig die Nachfrage, was noch kommen könnte, und wo der 34-Jährige vielversprechende Pioniertaten sieht? „Es gibt tatsächlich ein paar Sachen, in die ich mich gerade reinfuchse“, bestätigt er. „Spruchreif ist davon noch nichts.“ Mit Sicherheit wird man weiter ihm hören. Und etwas preis gibt er dann doch noch: Mit seiner neu gegründeten Agentur New Food Love setzt er seit einiger Zeit Konzeptentwicklungen von Restaurants um. Riekenbrauk: „Damit stellen wir unsere Kreativität zur Verfügung und lassen unsere Ideen sprudeln.“

ZAHLEN & FAKTEN

>> Brauhaus Johann Schäfer

Eröffnet: November 2017

Firmengröße: Rund 50 Mitarbeiter, 1 bis 1,5 Mio. Euro Umsatz/Jahr

Betreiber: Till Riekenbrauk und Thomas Borninkhof

Konzept: zeitgemäße Brauhausküche

Sitzplätze: zirka 130

Öffnungszeiten: Mo-Fr 12-22 Uhr, Sa/So 10-22 Uhr

Kontakt: www.johann-schaefer.de

>> Till Riekenbrauk

Geboren: 28. Januar 1986

Ausbildung: Studium der Wirtschaftswissenschaften, Universität zu Köln

Stationen: Noch während des Studiums selbstständig

Jetzige Position: Gesellschafter und Geschäftsführer RiNiBo GmbH (Johann Schäfer Brauhaus) und Riekenbrauk Schmidt GbR (Street Food Festival, New Food Love Agentur)