Old School gegen den Fachkräftemangel

Eine Branche beklagt den Fachkräftemangel. Aber abgesehen vom Begriff Fachkräftemangel ist scheinbar sonst nicht viel in aller Munde. Es ist ja auch zu einfach sich mit diesem einen Begriff aus der eigenen Verantwortung zu ziehen und alle Schuld von sich zu weisen. Warum sollte man sich auch an die eigene Nase fassen und seine Prozesse oder mehr noch - sein Verhalten- hinterfragen, wenn man doch alles auf den Fachkräftemangel schieben kann?

Umtriebig sind sie alle: „Künstliche Intelligenz im Recruiting kann uns jetzt nur noch retten“; „Wir müssen zum HR Festival nach Buxtehude, da sind ganz viele tolle Speaker“; „Check mal mit der IT, ob die mit den Chatbots weitergekommen sind für unsere Jobs-Seite“; „Annika, hast du Achim und Anette Bescheid gegeben, dass sie heute Sneaker tragen sollen für unser Bewerber-Rap-Video? Das zeigt genau, wie cool und hip wir sind. Danach rennen uns die Bewerber die Bude ein“; usw.

Viele Personalverantwortliche sind ganz offensichtlich der Auffassung, dass sie alles richtig machen und können einfach nicht nachvollziehen, woran es liegen könnte, dass sie keine Auszubildenden finden. Die Lösung hoffen sie bei teuren, abstrakten Technologien zu finden, bei „fetzigen“ Raps und bei hochpreisigen HR-Events natürlich. Zielführend ist weder das eine noch das andere – maximale Geldverschwendung.

Dabei sollte jeder mit Personal- und Recruitingverantwortung erstmal seine Hausaufgaben machen und sich mit den grundlegenden und simplen Basics auseinandersetzen: gutes Benehmen und Wertschätzung dem Bewerber gegenüber.

Einblicke in die Welt einer Bewerberin

Bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit mit Jugendlichen, die ich auf die Bewerbungsphase und auf ihre Vorstellungsgespräche vorbereite, erfahre ich Dinge, die mir die Sprache verschlagen. Was Bewerber erleben ist unfassbar.

Jüngstes Beispiel ist das von -nennen wir sie- Anna. Anna ist 18 Jahre alt und hat sich bei mehreren renommierten Hotels um einen Ausbildungsplatz als Hotelfachfrau beworben. Sie gehört zu den Bewerbern, um die sich alle reißen: jung, motiviert und mit den besten Voraussetzungen für eine Karriere in der Branche ausgestattet. Einige der Erfahrungen, die sie im Bewerbungsprozess gemacht hat, möchte ich gerne mit Ihnen teilen.

Hotel A

Nach einem ersten angenehmen Telefoninterview wird Anna zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dafür lässt sie sich von der Schule freistellen und reist aus ihrem 100 km entfernten Wohnort an. Sie muss früh aufstehen und ist nervös, obwohl sie sich perfekt auf den Termin vorbereitet hat. In Hotel A angekommen, lässt man sie erstmal 30 Minuten warten, um ihr dann mitzuteilen, dass die zuständige Personalleitung doch keine Zeit für sie hat und jemand anderes das spontan übernehmen wird. Dieser jemand anderes weiß nicht, wer Anna ist und kennt folglich auch nicht ihren Lebenslauf. Ob sie nicht zum Praktikum da sei, wird sie gefragt. Nachdem sie dies verneint, werden ihr dieselben belanglosen Fragen gestellt, die sie beim Telefoninterview bereits beantwortet hatte. Nach genau acht Minuten wird das Gespräch beendet mit den Worten „Wir melden uns bei Ihnen“. Bei wem sie sich wohl melden werden, weiß er doch nicht mit wem er gesprochen hat? Verdutzt steht Anna nach diesem Erlebnis vor der Tür.

Versetzen wir uns in ihre Lage: Welches Gefühl hinterlässt solch ein Erlebnis bei einer Bewerberin? Man kann es sich denken. Ihre Reaktion? Noch am selben Tag zieht sie ihre Bewerbung zurück. Verwunderlich ist es nicht, denn es lässt tief blicken und ist bereits eine gute Vorschau darauf, wie der Arbeitsalltag in Hotel A aussieht.

Hotel B

Hotel B hat Anna bei einer Ausbildungsmesse kennengelernt. Ohne sich groß mit ihr zu beschäftigen, drückte man ihr gleich einen Personalbogen in die Hand. Die Rede ist von einem Personalbogen, den man im Grunde erst bei Einstellung auszufüllen hat. Anna solle den erstmal ausfüllen und einreichen. Eine Erklärung dazu gab es nicht. Keine Erklärung zu einem Formular, das verlangt, dass Anna ihre Kontodaten und weitere Informationen preisgibt.

An dieser Stelle endete ihr Interesse an diesem Betrieb dann auch direkt. Ausgefüllt und eingereicht hat sie den Bogen natürlich nicht.

Hotel C

Auch Hotel C hat Anna bei einer Jobmesse in ihrer Nähe kennengelernt. Die Dame am Stand schob sie für ihre Fragen rüber zu ihrem jungen Kollegen. Dieser konnte ihr zwar vom Azubialltag berichten, doch ihre Fragen nach Zukunftsperspektiven im Unternehmen blieben unbeantwortet. Die eine hatte keine Lust und der andere keine Ahnung, da er selbst noch neu im Unternehmen war.

Anna ließ ihre Bewerbungsmappe dennoch da. Eine Rückmeldung erhielt sie nicht. Als sie sich später selbst erkundigte, sollte sie ihren Lebenslauf doch bitte nochmal schicken. Das Vorstellungsgespräch verlief angenehm, doch die abschließende Bitte ihre kompletten Bewerbungsunterlagen einzureichen, hinterließ einen negativen Eindruck. Denn das tat sie ja bereits bei der Messe. Wahrscheinlich liegt ihre Mappe dort noch in der großen Kiste bei den Broschüren und Bannern. Mit Wertschätzung hat auch das nicht viel zu tun.

Hotel D

Hotel D hat sich (bisher) vorbildlich benommen. Sie haben Anna individuell wahrgenommen, sich mit ihr beschäftigt, sind mit ihr in Kontakt geblieben, haben ihr Wertschätzung entgegengebracht und sich bisher an alle Vereinbarungen gehalten. Demnächst macht Anna dort ein Schnupperpraktikum, für das sie vorbereitend sogar einen Plan mit wirklich relevanten Informationen erhalten hat. Drücken wir Anna und Hotel D doch die Daumen, dass es so bleibt und sie zueinander finden.

Fazit

Diese Aufstellung ist erschreckend bezeichnend. Finden Sie nicht auch?

Wie man sieht ist eine positive Candidate Experience, die den individuellen Bewerber in den Fokus rückt, noch Mangelware in der Branche. Das schlechte Benehmen und das chaotische Bewerbermanagement, wenn man es denn überhaupt als Bewerbermanagement bezeichnen kann, ist auch in Zeiten des Fachkräftemangels noch Usus und verbreitete Praxis. Wenn Personaler sich solch ein Verhalten erlauben können, kann das mit dem Fachkräftemangel ja nicht allzu schlimm sein.

Statt untätig zu jammern, an alten Strukturen festzuhalten, irgendwelchen neuen Chatbots hinterherzulaufen, jetzt in KI machen zu wollen und zahlreiche HR-Conventions zu besuchen, sollte man sich und sein Bewerbermanagement doch erst einmal hinterfragen und optimieren. Das spart Zeit und Geld, ist bei der Stellenbesetzung zielführender und verbessert die Candidate Experience für Bewerber wie Anna. Mit anständigem Benehmen und Fokus auf den Menschen ganz old school gegen den Fachkräftemangel kann mehr bewirken als so manch ein HR-Roboter.


Über den Verfasser: Michela Ivano ist als Head of Projects für die eto Personalmarketing GmbH tätig, die auch Veranstalter der Nacht der Hotellerie ist. Davor war sie über 15 Jahre lang in der Kreuzfahrt, der internationalen Hotellerie & Gastronomie und im Tourismus in operativen als auch in strategischen Positionen beschäftigt.

Die eto Personalmarketing GmbH mit Sitz in Bremen wurde 2016 von Hotel- & Touristikfachmann Jan Steffen gegründet. Die Mission: „escape the ordinary“. Die eto hat es sich zur Aufgabe gemacht, Unternehmen mit Hilfe eines ehrlichen Personalmarketings bei der Bildung und Stärkung ihrer Arbeitgebermarken aktiv zu unterstützen und zu begleiten. Ein innovativer, ganzheitlicher Ansatz verbindet interne und externe Personalmarketingmaßnahmen und unterscheidet die eto Personalmarketing GmbH somit von klassischen Marketingagenturen. Weitere Informationen unter www.personalmarketing.rocks


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